Amazon: Ein Blick hinter die Kulissen des Versandriesen
Einer der Autoren, die regelmässig für MyPaketshop schreiben, wohnt in Leipzig. Da dachten wir uns, wir schicken ihn auf eine Besuchertour durch das Leipziger Logistikzentrum des Versandriesen. Was er dabei alles erfahren hat, verraten wir jetzt.
Ein paar Fakten über das Amazon-Logistikzentrum in Leipzig
1. | 2006 gebaut | Damit war das Amazon-Leipzig das zweite Logistikzentrum in Deutschland. Heute gibt es 13 Zentren über die gesamte Bundesrepublik verteilt. |
2. | 75.000 qm gross | Es können 11 Fussballfelder auf dieser Fläche untergebracht werden. |
3. | 1.500 Mitarbeiter | Die 1.500 festen Mitarbeiter werden durch 400 bis 500 Saisonkräfte unterstützt. Leiharbeiter gibt es am Standort Leipzig nicht. |
4. | 100.000 Sendungen | Pro Tag verlassen 100.000 Sendungen Amazon Leipzig. In Stosszeiten können es bis 500.000 sein. Dann arbeiten auch die Manager an den Stationen mit, um die Arbeit zu erledigen. |
5. | 5 bis 8 Millionen | Das ist die Menge der Artikel, die durchschnittlich bei Amazon Leipzig lagern. |
6. | Mehr als 50 Prozent | Auch in Leipzig ist der Trend zu bemerken, dass der Marketplace für Amazon immer wichtiger wird. So sind etwas mehr als 50 Prozent der Waren, die hier eingelagert und versendet werden, von Marketplace-Verkäufern. |
Schneller bei Amazon dank Herbstwind
Wer innerhalb Leipzigs schnell von A nach B kommen will, fährt Bahn oder Rad. Das Auto? Nun, Staus und zeitraubende Parkplatzsuche machen es in der Stadt eher zum Handicap als zum Fortbewegungsmittel. Allerdings liegt Amazon recht weit ausserhalb von Leipzig. Google Maps schätzt die Fahrzeit mit dem Rad von meiner Wohnung auf 45 Minuten.
Es kommt der Dienstagnachmittag. In gut anderthalb Stunden soll die Führung bei Amazon starten und die Teilnehmer wurden gebeten 15 Minuten vorher da sein. Soll ich nicht doch die Bahn nehmen? Die fährt bis zur Haltestelle „Heiterblickstraße“ nur 50 Minuten.
Aber nein, ich bin sportlicher Laune und schwinge mich 15 Uhr auf mein Rad. Da der Herbstwind mich förmlich zum Logistikzentrum pustet, unterbiete ich die Google-Zeit um 5 Minuten. Ich komme also 20 Minuten vor Start der Führung mit guter Laune in der „Amazonstraße 1“ an.
Sicherheit geht vor: Teil 1
Um überhaupt auf das Gelände von Amazon zu kommen, müssen Mitarbeiter wie Besucher eine Drehschleuse passieren. Mitarbeiter aktivieren die mit ihrem Pass und Besucher müssen einen Klingelknopf drücken. Ich tue es und melde mich bei der Security als Besucher an. Die Drehtür summt und ich schlängele mich hindurch.
Dann steige ich die Treppe zum Besuchereingang hinauf. Apropos Treppe, dazu gibt es bei Amazon eine von vielen Vorschriften, aber die verrate ich jetzt noch nicht.
In kleiner Gruppe – angenehm locker
Am Eingang steht unsere „Amazon-Führerin“ bereit, um die Besucher in Empfang zu nehmen. Natürlich hat sie meinen Familiennamen falsch notiert. Warum natürlich? Ich habe es bisher kaum erlebt, dass nicht das „E“ weggelassen wird – mein Name ist einfach zu exotisch.
Da wir nur eine kleine Gruppe (6 Leute) sind und unter den Besuchern sogar ein ehemaliger Arbeitskollege des Guides ist, entspannt sich eine angenehm, lockere Atmosphäre. So erfahre ich auch, welcher Artikel als erste Sameday-Lieferung bei Amazon-Leipzig rausging. Der ehemalige Mitarbeiter verrät es uns.
Fun-Facts über Amazon Leipzig
Erster Artikel der 2006 versendet wurde | Toaster |
Erster Same-Day-Artikel der Leipzig verliess | Dildo |
Nachdem wir uns ein paar Image-Filmchen über Amazon angesehen haben, schlüpfen wir in neongrüne Warnwesten hinein und bekommen ein paar Sicherheitshinweise.
Sicherheit geht vor: Teil 2
Jetzt lüfte ich das Treppengeheimnis: Bei Amazon sollen alle Mitarbeiter und auch die Besucher immer den Handlauf der Treppe benutzten. Denn auf der Treppe kommt es wohl zu den meisten Stürzen – also nicht nur bei Amazon, sondern generell. Sicher sehr sinnvoll, nur frage ich mich beim Treppesteigen sofort, ob derjenige vor mir die Hände nach seinem Toilettenbesuch gewaschen hat.
Ausserdem werden wir angewiesen stets innerhalb der grünen bzw. blauen Markierungen zu laufen, da zwischen den orangen Streifen die Fahrzeuge unterwegs sind. Ja, in den riesigen Lagerhallen herrscht ein reger Verkehr. Leider gibt es davon keine Fotos, da das Fotografieren während der Führung nicht erlaubt ist.
Erste Station: Inbound
Erste Station auf unserer Tour ist der sogenannte „Inbound“-Bereich – eine langgestreckte Halle mit mehr als 20 Toren. An diesen docken die LKWs an und die Amazon-Mitarbeiter holen die für den Marketplace oder direkt für Amazon bestimmten Waren heraus. Die werden dann auch sofort im System registriert.
Im nächsten Schritt wird geschaut, ob die angelieferten Waren in Ordnung sind. Und nein, die Mitarbeiter reissen nicht die Originalverpackung auf und schauen hinein. Aber sie kontrollieren, ob Schäden von Aussen erkennbar sind. Das passiert etwa durch Sichtprüfung und Schütteln. Danach wird der Artikel samt Verpackung gewogen und das Gewicht ins System eingegeben.
Zweite Station: Chaotisches Einsortieren
Nun wird es auf der Tour richtig interessant. Was passiert mit den Waren, die angekommen sind? Klar, sie werden in die Lagerregale einsortiert. Aber wie, das bleibt den zuständigen Mitarbeitern überlassen. Das bedeutet, diese entscheiden, an welchen Regalplatz sie welchen Artikel stellen. Dabei hilft ihnen ihr Scanner. Der zeigt ihnen, wo Regalreihen sind, die viele freie Regelplätze haben. Hat der oder die Mitarbeiterin einen freien Platz gefunden, legt sie den Artikel dort hinein. Dann noch den zugehörigen Strichcode scannen, damit das System weiss, wo der Artikel liegt, und es kann weitergehen.
So kommen uns Besuchern die Artikel in den Regalen total chaotisch sortiert vor. Es liegen Gummibärchen neben Brettspielen und Computermäuse neben Vitaminpräparaten. Aber solange das Computersystem weiss, wo die Artikel liegen, kann alles schnell gefunden werden.
Bei den Regalen gibt es ausserdem zwei Abteilungen: Slow und Fast. Die Fast-Regale sind für Waren, die in aller Regel schnell wieder verkauft werden. Die Slow-Produkte sind jene mit durchschnittlicher Lagerdauer. Wobei es keinen echten Durchschnitt gibt. Es lagern Produkte bei Amazon Leipzig manchmal nur ein paar Stunden und andere mehrere Monate.
Wussten Sie schon? |
Jedes Amazon-Logistikzentrum ist eine eigenständige GmbH. Sie gehören zwar zum Mutterkonzern, erwirtschaften aber selbst ihr Geld und schauen, wo sie es investieren. Deshalb haben die Leipziger auch seit zwei Jahren endlich eine Klimaanlage im gesamten Komplex. Davor mussten nämlich im Sommer die oberen Etagen des Lagers geschlossen werden, da es dort einfach zu heiss war. |
Dritte Station: Durch die Regalreihen schlängeln
Gut, wir haben erfahren, wie die Waren in die Regale kommen. Aber was passiert, wenn sie bestellt werden?
Da kommen die Picker ins Spiel. Diese Mitarbeiter rüsten sich mit einem Wagen aus, der mit zwei Boxen bestückt ist. Auf ihren Scanner bekommen sie die Meldung rein, welcher Artikel bestellt wurde und in welcher Regalreihe und Fach er liegt. Das System schickt die Picker dabei immer auf den kürzesten Weg zu den Artikelstandorten. Deshalb erinnern ihre Wege durch die Regale an verworrene Schlangenlinien. Doch trotz des effizientesten Weges legen sie pro Schicht 10 bis 12 Kilometer zurück. Das ist das perfekte Fitnesstraining. Das sehe ich sofort, hier wälzt nämlich niemand adipöse Pfunde durch die Gänge.
Ergänzung: Die Mitarbeiter können ihren Einsatzbereich während einer Schicht wechseln, um beispielsweise nicht nur laufen zu müssen.
Die mit Waren aller Art gefüllten Boxen kommen auf ein Förderband und landen in der Sortierstation. Ausgenommen es handelt sich um eine sogenannte Einzelbestellung (nur ein bestellter Artikel), die reist sofort in die Packstation.
Vierte Station: Richtig schön durchsortieren
Unsere Gruppe verfolgt die Warenboxen zur Sortierstation. Hier steht ein Amazonmitarbeiter und sortiert die Artikel aus den Boxen in Regalfächer ein, gemäss den Anweisungen des Systems auf dem Monitor.
Die Regale sind rollbar und jedes Regalfach ist eine Bestellung. An dieser Stelle entscheidet sich also, ob in Ihrem Amazonpaket auch das richtige drin ist.
Ist das Regal gefüllt, rollt es der Sortierer zwei Meter vor zur Packstation.
Fünfte Station: Anonym verpackt
Nach dem Sortieren kommt das Verpacken. Wir stellen uns zu einer älteren Dame mit schnittiger Kurzhaarfrisur und sehen, wie butterweich das Einpacken funktioniert. Auf einem Bildschirm sieht sie, welches Regalfach dran ist. Ausserdem empfiehlt das System eine Kartongrösse. Diese Empfehlung stimmt nicht immer, aber in den meisten Fällen. Die Dame faltet den Karton legt die Artikel aus dem Regalfach hinein und stopft grosse Lücken mit Packpapier aus. Um die Verpackung zu verkleben, spuckt eine kleine Maschine ein feuchtes Klebeband aus, und zwar genau so viel, wie für diese Verpackungsgrösse gebraucht wird. Dieses Band verbindet sich fast untrennbar mit der Kartonage. Zum Schluss kommt ein Barcode auf den Karton. Es bleibt also völlig anonym, wer die Sachen bestellt hat. Selbst wenn der Ehemann der Dame bei Amazon deren Weihnachtsgeschenk bestellen würde und sie es verpackt, würde sie es nicht wissen.
Station Sechs und Sieben: Mit Luftdruck ab die Post
Nach dem Verpacken landen die Päckchen und Pakete auf einem Förderband, was sie an einer Labelmaschine vorbeiführt. Die scannt den Barcode und drückt dann den Adressaufkleber auf das Paket. Interessant dabei: Der Stempel fährt nur bis kurz über das Paket und schiesst dann das Adressetikett mit Luftdruck drauf. So kann nichts beschädigt werden und es sieht verdammt cool aus – wie diese Maschine berührungslos etikettiert.
Zum Abschluss werden die Pakete, Päckchen und Briefe in die Fahrzeuge von DHL, Hermes und anderen Lieferdiensten geladen. Und dann geht die „Post ab“. Übrigens versendet Amazon Leipzig in mehr als 100 Ländern weltweit. Entsprechend arbeiten sie mit sehr vielen Lieferdiensten zusammen.
Für die richtig grossen Sachen: umgedrehte Gabelstapler
Zum Abschluss unserer Tour besuchen wir noch eine Regalhalle. Hier lagern aber nicht Akkuschrauber und Filterkaffeemaschinen in den Regalreihen, sondern die grossen Artikel. Das sind beispielsweise: Fernseher, Drucker, Monitore und so weiter. Die werden in sieben Meter hohen Regalen abgelegt. Und da selbst nicht der grösste Mensch der Welt an die obersten Fächer heranreichen würde, fahren die Mitarbeiter*innen hier mit Vertikal-Kommissionierern herum.
Das sind sozusagen umgedreht Gabelstapler. Bei ihnen fährt nämlich der Fahrer in die Höhe und kann dann die entsprechenden Waren aus dem Regal nehmen. Ein grosser Korb, der an der Fahrerkabine befestigt ist, nimmt die Artikel auf.
Tour zu Ende und wieder Sicherheit
Am Ende der Tour heisst es dann wieder etwas von den Sicherheitsmassnahmen des Unternehmens kennenlernen. Die Mitarbeiter müssen nämlich beim Verlassen durch einen Metalldetektor und Taschen, Handyhülle und Brieftasche einen Sicherheitsmann zeigen – selbst unsere Führerin. Aber es scheint niemanden zu stören, ich hätte ein Problem damit, wenn mir mein Arbeitgeber so wenig vertraut. Wir als Besucher können ungefilzt das Terrain verlassen.
Das Ende meiner Tour
Nachdem wir noch erfahren haben, was ein Amazonmitarbeiter verdient und was das Unternehmen alles für seine Beschäftigten tut – ich fühle mich fast veranlasst, gleich einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben – ist die Tour beendet. Ach so, jeder Tourteilnehmer bekommt eine Amazon-Trinkflasche geschenkt.
Zum Schluss heisst es noch das Gelände durch die Drehgittertür vom Anfang zu verlassen. Auch dafür muss der Klingelknopf der Security gedrückt werden, damit wir Besucher uns hinaus drehen können.
Was habe ich noch erfahren?
Was verdienen die Leute bei Amazon?
Ein Amazon-Mitarbeiter verdient in der ersten zwei Jahren in Leipzig 11,10 Euro die Stunde. An anderen Standorten in Westdeutschland ist es mehr. Aber immerhin wird der Verdienst jährlich dem Marktumfeld angepasst. Ausserdem steigt er nach zwei Jahren und die Mitarbeiter bekommen nach dieser Zeit eine Aktienbeteiligung. Boni sind ebenfalls vorgesehen. Die sind aber nicht an eine Person gekoppelt, sondern an die GmbH. Das heisst, das gesamte Amazon-Leipzig-Team muss sich die Boni verdienen.
Weiterbildung offensiv
Amazon zahlt Mitarbeiter bis zu 95 Prozent (maximal 8000 Euro verteilt auf 4 Jahre) für Aus- und Weiterbildungen. Diese können auch in Berufsfeldern stattfinden, die später nichts mit Amazon zu tun haben, wie etwa Erzieher. Das Unternehmen ermöglicht es also, die Firma mit einem Abschluss zu verlassen. Das klingt total dumm, stellt sich aber als geschickte Strategie heraus. Wenn ein Mitarbeiter ein Ziel im Leben erreichen kann (etwa Erzieher zu werden), dann arbeitet er wesentlich besser und motivierter, als Beschäftigte ohne Karriereziel.
Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung inklusive
Jeder Mitarbeiter erhält automatisch eine Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung. Deren Prämie beträgt zwei Jahreslöhne.
Retoure?
In Leipzig werden keine Retouren bearbeitet. Ich erhielt aber trotzdem eine Auskunft dazu: Die meisten zurückgesendeten Artikel werden entweder neu (ungeöffnete Originalverpackung) oder als Warehousedeals wieder verkauft. Ausserdem spendet Amazon viele Waren an innatura.org.
Mein persönlicher Eindruck
Die Medien schildern Amazon gern als Sklaventreiber. Diesen Eindruck hatte ich im Unternehmen zu keiner Zeit. Im Gegenteil, die Mitarbeiter scheinen offen und freundlich und haben einen netten Umgang miteinander. Natürlich ist der Lohn lächerlich, aber das Unternehmen bietet ungelernten Arbeitskräften einen Job und mit dem Weiterbildungsprogramm echte Zukunftschancen.
Die Abläufe in dem Logistikzentrum sind extrem effizient und ich kann sehr gut verstehen, weshalb deutsche Versandunternehmen mit Amazon nicht mithalten können. Die US-Amerikaner machen einfach sehr viel sehr richtig.
Mein Tipp
Wenn Sie mal in der Nähe von Bad Hersfeld, Winsen, Leipzig oder Rheinberg sind, dann buchen Sie ruhig eine Tour durch Amazon. Es ist echt interessant.
Vorschau
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